Sicher in „neuen“ Situationen? – Improvisation
Rebecca Mary und Irene tanzen Kontakt Improvisation. (Foto von Jürgen Gocke)
Wir improviseren in unserem Alltag ständig. Wenn wir auf der Straße angesprochen werden, beim Bäcker oder bei der Arbeit. Oder auch auf Reisen in fernen Ländern mit fremden Kulturen. Immer wieder gelangen wir in ungeplante Situationen und müssen uns an die neuen Umstände anpassen. In diesem Artikel möchte ich näherbringen, wie Improvisationstanz & Kontakt-Improvisation einen unglaublichen Einfluss auf unser tägliches Leben haben kann.
Was bedeutet Improvisation eigentlich genau?
Manche sind gut im improvisieren (lat. unvorhergesehen), manche erstarren geradezu, wenn unerwartete Ereignisse eintreffen und nicht alles nach Plan läuft. Wir sind es gewohnt unseren Alltag zu planen und zu strukturieren. Körper und Gehirn versuchen wir zu fokussieren, doch immer wieder landen wir in einer unvorhersehbaren Situation. Oft entsteht eine reflexartige Handlung, wenn man z.B. stolpert und sich gerade noch abfangen kann (Körper), oder wir versuchen es zu handlen, wenn wir auf der Straße angebaggert werden (Kopf). Danach fragen wir uns oft: „was ist da gerade passiert?“ oder „wieso habe ich das gesagt/getan?„. Weil unser Denkapparat, der sonst alles plant, kurz abgeschaltet wurde und der Autopilot aktiviert wurde um uns aus dieser Situation zu navigieren.
Wie wir reagieren und wie wir uns dabei fühlen hängt von mehreren Faktoren ab:
Wie oft waren wir…
- …in der gleichen Situation?
- …in einer ähnlichen Situation?
- …generell in unerwarteten Situationen?
Sind wir es gewohnt mit ungeplanten Situationen umzugehen? Wenn ja, dann fühlen wir uns sicher, selbst wenn wir das Ergebnis noch nicht kennen, wir vertrauen in uns. Erstarren wir oder reagieren wir nicht „gut“ in so einer Situation? Sind wir währenddessen unsicher oder auch danach und verurteilen uns selbst ein bisschen?
Wie gehst Du mit neuen Situationen um? Ich denke es ist wünschenswert eine gute und schnelle Reaktion zu haben und sich gleichzeitig sicher und wohlzufühlen.
Wie können wir das „Improvisieren“ trainieren?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten wie zum Beispiel Impro-Theater oder Improvisationstanz, bei denen man sehr gezielt anfängt damit zu spielen. Man bringt sich selbst ständig, ja nahezu ununterbrochen in neue Situationen, testet die eigene Reaktion, beobachtet sich selbst und reflektiert hinterher – alleine oder in der Gruppe. Immer wenn wir unsere Comfort-Zone verlassen, haben wir die Möglichkeit zu wachsen. Das Besondere am gezielten Improvisieren ist die Abgabe der Kontrolle, weil wir ja ständig in neuen Situationen sind. Aber geben wir wirklich die Kontrolle ab? Eigentlich nicht, denn unser Körper ist in einem hoch sensiblen Zustand, alle Sinne sind geschärft, um möglichst viele Informationen über die Umgebung zu erhalten. Ein guter Weg, um in den Flow zu kommen („So kommst Du in den Flow!“).
Der Tänzer ist in jedem Moment neu mit im Spiel und mit allen Möglichkeiten. Wir finden uns ständig wieder im Loslassen, Festhalten und Kontrollieren. Damit unterstützt der Improvisationstanz zugleich die Erfüllung der psychischen Bedürfnisse wie Selbstkontrolle und Selbstbestimmung. In angeleiteten Kursen ist das zentrale Merkmal des Improvisationstanzes das unmittelbare und das spontane Bewegen, welches von der Lehrperson durch das Eingeben offener Bewegungsaufgaben veranlasst und aufrechtgehalten wird.
Kontaktimprovisation bzw. Contact Improvisation
Die Kontaktimprovisation ist ein Tanz, welcher körperbetont erfolgt und verantwortungsbewusst ist sowie mit Respekt für die persönlichen und die Grenzen anderer umgeht. Der Tänzer genießt es, beim Tanzen in körperlichem Kontakt zu sein. Eine authentische und ehrliche Begegnung findet nur statt, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind. Dabei können Gefühle auftauchen, Gedanken kommen und die Bewegungen beeinflussen und das alles ist ganz normal, natürlich und wünschenswert.
Zwei oder mehr Körper Körper teilen dabei ein oder verschiedene Berührungspunkte, rollen, drehen, rutschen, lehnen, balancieren, verweilen und lauschen zusammen.
Diese nehmen und geben Luft, folgen dem Fluss der Bewegungen vom Boden durch die einzelnen Ebenen bis in die Lüfte und die Momente gestalten sich neu. Spielerisch machen sich die Tänzer mit dem Boden als konstanten und ersten Partner vertraut. Die Tänzer erkunden die Prinzipien wie Rollen, Lehnen, Gleiten, Verweilen, Gewicht nehmen und geben, Folgen und Führen und lernen sich im kugelartigen Raum zu orientieren. Bedingt durch die aufmerksame Körperwahrnehmung aller Sinne öffnen diese den Körper für das Spiel mit Balance und Gewicht. Die Bewegung entsteht aus dem persönlichen Zentrum heraus und kommen mit dem gemeinsamen und dem eigenen Bewegungsfluss in Kontakt. Im gemeinsamen Erleben der Dynamik und der Schwerkraft des Augenblicks entfaltet sich dieser Tanz stetig neu.
Entdecker, Erfinder & Gründer: Steve Paxton
Contact Improvisation ist ein sich immer wieder weiterentwickelndes System aus Bewegungen, welches im Jahre 1972 von dem Choreografen Steve Paxton in Amerika initiiert wurde. Als Gegenpol zum klassischen Ballett und klar vorgegebenen Strukturen entwickelt sich ein Tanz, der keine Regeln kennt. Aus dem gemeinsamen Bezug zu den physikalischen Gesetzen des Impulses, der Trägheit und der Schwerkraft kann der Tanz entstehen. Hierbei lernen die Körper, sich jenen Empfindungen zu öffnen und in der Absichtslosigkeit den eigentlichen Fluss der Bewegung zu erfahren. Techniken des Fallens und Rollens werden genauso gelernt wie das fortdauernde Folgen des physischen Kontaktpunktes oder die Begabung eines gegenseitigen Gewichtgebens und -nehmens.
Die Kontaktimprovisationen sind intuitive körperliche Dialoge, welche von Stille bis zu einem energetischen Austausch reichen. Dabei ist eine hohe Wachsamkeit erforderlich, um in dem energetischen Zustand einer körperlichen Desorientierung arbeiten zu können und auf die generellen Instinkte zum Überleben zu vertrauen. Dieser Tanz ist ein improvisiertes Spiel mit dem Gleichgewicht, welches falsche Bewegungen von allein korrigiert, verstärkt und hierbei eine physische Wahrheit über dem gemeinsam erlebten Moment der Bewegung herausbringt, welche die Teilnehmer informiert, belebt und zentriert.
Die Kontaktimprovisation ist eine Improvisationstanzart, die ermöglicht in Berührung und in Begegnung zu gehen und sich allein hierbei frei zu bewegen.
Fazit
Improvisation entsteht in unvorhersehbaren Situationen. Wenn wir uns darin üben, dann…
- … fühlen wir uns im Alltag sicher. Wir freuen uns sogar, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
- … werden wir selbstbewusster und lernen auf unsere Instinkte zu vertrauen.
- … verlassen wir unsere Comfort-Zone und erweitern unsere Persönlichkeit.
- … begeben wir uns in den Fluss des Lebens, egal was kommt.
Persönliche Erfahrungen von Dani:
„In meinem Alltag komme ich ständig in neue Situationen, in Elterngespräche, in Begegnungen auf der Straße, in der Bahn, überall, und ich liebe es. Seit ich Kontakt-Improvisation entdeckt habe, ging diese körperliche Erfahrung in so viele Lebensbereiche über. Durch diesen Tanz, oft nenne ich es auch Tanz-Therapie, habe ich gelernt in einem spielerischen Rahmen zu experimentieren, mich kennen zu lernen, neu zu erfinden.
Jedem, der mir etwas bedeutet, muss ich es nahelegen diese Erfahrungen zu machen, es zumindest einmal auszuprobieren. Viele sind nach der ersten Teilnahme hin und weg. Absolut begeistert und oft auch überfordert. Doch beim zweiten Mal wird es bereits einfacher. Nach einem Monat haben Menschen mit Kontakt- und Berührungsängsten berichtet, dass sie anfangen Menschen ganz anders zu sehen, Umarmungen anders zu fühlen und kommen in einen näheren Kontakt mit sich selbst und ihren Mitmenschen. Also wenn das nicht ein Versuch wert ist, dann weiß ich auch nichts mehr ;)“
In unseren Tanzkursen kommt jeder in den Flow. Wir improvisieren, explorieren, kommen in Kontakt mit uns selbst und mit anderen. Abgesehen von technischen Elementen aus dem zeitgenössischen Tanz, üben wir uns in Improvisation und Kontakt-Improvisation. Wenn Du bereit bist, gib dir selbst einen Schubs und tanz mit uns beim „Moving Monday“ sport.wemove.fun/tanz
Hier noch zwei Videos, wie schön Kontakt-Improvisation sein kann:
Über den Autor:
„Meine Mission ist es Menschen zusammenzubringen, zu motivieren, zu inspirieren, den Körper & Geist weiter zu erforschen.“
Mit seinem Studium der Kultur- & Kognitionswissenschaften begab sich Dani auf eine Reise nach innen und außen zugleich. Wie funktioniert das menschliche Gehirn? Wie verhalten sich Menschen in Gruppen/Kulturen? Eine Sprache verbindet alle Menschen auf der Erde: Bewegung!